Bald hat die Schweiz einen Vaterschaftsurlaub
Am 20. Juni hat der Ständerat ausgiebig über drei Vorschläge zum Vaterschaftsurlaub debattiert: Über die von Travail.Suisse mitlancierte Volksinitiative “Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie” mit 20 Arbeitstagen, über den Gegenvorschlag der vorberatenden Kommission mit 10 Arbeitstagen und über einen Vorschlag Ferien für den Vaterschaftsurlaub einsetzen zu können ohne zusätzliche freie Tage. Aktivistinnen und Aktivisten der beteiligten Organisationen haben auf der Besuchertribüne aktiv zugehört. Die Babytücher mit dem aufgedruckten Initiativ-Logo haben sie dezent, aber sichtbar getragen. Die Ständeratsmitglieder haben gemerkt, dass ihre Debatte verfolgt wird.
Schlechtes Image wegen fehlendem Vaterschaftsurlaub
Von den insgesamt 46 Ständeratsmitgliedern haben sich 17 in der Debatte geäussert. Anders als der Bundesrat hat die vorberatende Kommission der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag mit 10 Tagen Vaterschaftsurlaub gegenübergestellt. Einerseits erkannte die Kommission das Potential der Initiative, die nicht ohne Chancen ist vom Volk angenommen zu werden. Andererseits reifte bei vielen Ständeratsmitgliedern die Einsicht nach der durch die Initiative angestossenen, breiten Diskussion in der Gesellschaft, dass ein Nein zu einem Vaterschaftsurlaub nicht mehr in die heutige Zeit passt und die Väter heute aktiv am Familienleben teilhaben wollen. Sogar für junge Gewerbetreibende sei ein Vaterschaftsurlaub oft eine Selbstverständlichkeit. In der Tat: Die Schweiz ist das letzte Land in Europa, das keine gesetzlichen Bestimmungen zu einer Art Vaterschafts- oder Elternurlaub beschlossen hat. Generell ist die Schweiz in der Familienpolitik ein Entwicklungsland. Das bringt der Schweiz ein schlechtes Image ein, wurde treffend erwähnt. Gerade international aufgestellte Unternehmen müssen ihren Arbeitnehmenden erklären, dass die Schweiz ihren Familien keine grossen Erleichterungen gewährt. Gerade die grossen Unternehmen sind es heute, die von sich aus grosszügige Vaterschaftsurlaubsmodelle eingeführt haben. Die neuesten Erhebungen von Travail.Suisse zur Entwicklung des Vaterschaftsurlaubs in den grössten GAV und der öffentlichen Hand zeigen, dass es in vielen Branchen dank den Sozialpartnern überhaupt einen Vaterschaftsurlaub gibt, dass die Entwicklung aber sehr langsam vorwärts geht.
Indirekten Kosten steht indirekter Nutzen gegenüber
Die Bedürfnisse der heutigen Familien, ihrer Väter und Mütter, wurden in der Debatte sehr differenziert diskutiert und beleuchtet. Die Kosten des Vaterschaftsurlaubs wurden interessanterweise nicht durchgehend als Gegenargument genannt. Der Gegenentwurf bedarf 224 Mio. Franken bzw. 0,6 Lohnprozente, die Initiative gemäss Botschaft des Bundesrates 420 Mio. Franken, insgesamt 0.11 Lohnprozente für die Erwerbsersatzordnung, also von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden je zur Hälfte finanziert. Anfang Juni wurden in den Medien die indirekten Kosten eines Vaterschaftsurlaubs ins Spiel gebracht. Gewerbekreise haben in der Vernehmlassung aus einer Studie zu kurzfristigen Pflegeurlauben mögliche Aufwände bei der Organisation und Kompensation der Abwesenheit durch Vaterschaft in Milliardenhöhe kolportiert. Der Verein „Vaterschaftsurlaub jetzt!“ hat den Ständeratsmitgliedern vor der Debatte zusammen mit den wichtigsten Argumenten auch ein Factsheet zu den Kosten zur Verfügung gestellt und auch an die indirekten Nutzen eine Vaterschaftsurlaubs erinnert. Väter mit Vaterschaftsurlaub sind ausgeglichenere und motiviertere Mitarbeiter und halten dem Unternehmen länger die Treue, was weniger Aufwand zur Folge hat.
Vaterschaftsurlaub ist der erste Schritt zur Elternzeit
In der Abstimmung wurde die Vaterschaftsurlaubs-Initiative mit 29 zu 14 bei einer Enthaltung abgelehnt. Unterstützung erhielt sie von den SP-Ständeratsmitgliedern, sowie je einem Mitglied der Grünen und der FDP. Der Gegenentwurf wurde mit zusätzlicher Unterstützung der CVP mit 26 zu 16 angenommen. Das Geschäft geht jetzt an die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N). Diese wird ihre Beratungen noch im Juni aufnehmen, damit der Gegenvorschlag in der Herbstsession und die Initiative in der Wintersession beraten werden kann. Die Initianten werden auch im Nationalrat sich für vier Wochen einsetzen, da viele Vorteile des Vaterschaftsurlaubs bezüglich Vater-Kind-Bindung und Gleichstellung erst ab vier Wochen zum Tragen kommen. Es braucht nicht unbedingt die Initiative: Auch der indirekte Gegenvorschlag kann auf vier Wochen erweitert werden. Ende Jahr wird das Resultat der Beratungen im Parlament bekannt sein. Nach der jetzigen Einschätzung wird die Initiative nicht zurückgezogen und im Mai oder September 2020 zur Abstimmung kommen. Das letzte Wort wird allerdings das Initiativkomitee haben. Schon jetzt ist klar: Der Vaterschaftsurlaub ist nur der erste Schritt, der jetzt gemacht werden muss. Der zweite Schritt muss eine Elternzeit von mindestens 24 Wochen sein. Diese Forderung hat Travail.Suisse seit mehreren Jahren aufgestellt. In rund zwei Jahren müssen alle EU-Länder neben dem Mutterschaftsurlaub einen Vaterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen und eine Elternzeit von mindestens je 8 Wochen für Väter und Mütter einführen. Die Schweiz hat noch einen weiten Weg vor sich. Travail.Suisse wird nicht müde werden, diese Entwicklung für eine umfassende und moderne Familienpolitik Schritt für Schritt anzutreiben – für die Gleichstellung, für die Familien, für die Arbeitnehmenden.
Factsheet Vaterschaftsurlaub in den Gesamtarbeitsverträgen, der öffentlichen Verwaltung und in den grösseren Unternehmen: http://ts-paperclip.s3-eu-west-1.amazonaws.com/system/uploadedfiles/5171/original/Factsheet_Vaterschaftsurlaub-aktueller-Stand_2019_d.pdf?1560358878